"Der Auftrag
ist klar"

von Prof. Wolfgang Lucht,
PIK und Sachverständigenrat
für Umweltfragen
Mittwoch, 14.07.21
Wolfgang Lucht leitet am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die Forschungsabteilung für Erdsystemanalyse. Er hat außerdem den Alexander von Humboldt-Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaften am Geografischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin inne und ist berufenes Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU). Beim Bürgerrat Klima führte er als Referent die Teilnehmenden thematisch die Handlungsfelder ein und ist auch Teil des wissenschaftlichen Kuratoriums.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mein Name ist Wolfgang Lucht. Ich bin Erdsystemwissenschaftler und Klimaforscher. Ich bin auch bei Scientists for Future aktiv, die als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Prozess des Bürgerrats Klima unterstützt haben. Ich spreche hier auch für das wissenschaftliche Kuratorium des Bürgerrats Klima, das den Bürgerrat von Anfang an mit wissenschaftlichem Rat unterstützt hat und Teil der inhaltlichen Qualitätssicherung war.

Ich spreche aber auch für den Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, der sich immer wieder dafür ausgesprochen hat, neue Formen der Bürgerbeteiligung auszuprobieren und in unser System der Demokratie einzubeziehen.

Und ich spreche als Klima- und Erdsystemwissenschaftler, der täglich in seiner Arbeit neue Daten, neue Analysen, neue Beweise dafür sieht, dass die Klimakrise, dass der Raubbau an der Erde Stück für Stück unser aller Zukunft unterminiert.
Die Klimakrise zu bekämpfen ist eine Menschheitsaufgabe, eine Jahrhundertaufgabe. Es ist eine Zivilisationsaufgabe, die uns heute Lebenden aufgegeben ist.
Ich möchte zu drei Punkten etwas sagen.
Erstens möchte ich aus Sicht der Klimaforschung etwas zur wissenschaftlichen Ausgangslage sagen.
Zweitens möchte ich etwas zu den Ergebnissen des Bürgerrats Klima sagen.
Und drittens möchte ich diese Ergebnisse einordnen in die gegenwärtige klimapolitische Diskussion.

Zum ersten Punkt, der klimawissenschaftlichen Ausgangslage.

Die Erde hat bereits mehrere der planetaren Belastungsgrenzen überschritten. Sie ist dabei, sich in einen Zustand zu entwickeln, den es seit Millionen von Jahren nicht gab. Einen solchen Zustand hat die Menschheit seit ihren allerersten Anfängen noch nicht erlebt.

Keine Zivilisation der Geschichte hat je mit einem solchen Klima gelebt. Fünfzig Jahre Klimaforschung haben der Menschheit eine unmissverständliche, klare Warnung gegeben über das, was bevorsteht und sich schon überall deutlich zu entwickeln beginnt. Nur, wer absolut wegschauen möchte, kann noch Zweifel an dem haben, was passiert.

In der gegenwärtigen Diskussion wird der Eindruck erweckt, als ob Fragen des Klimaschutzes größtenteils eine Frage der politischen Präferenz sei. Es wird der Eindruck erweckt, als sei er eine rein politische Frage, die man je nach Wunsch entscheiden könne. Das missachtet aber vollkommen die Befunde der Wissenschaft.

Es ist ein Zeichen einer aufgeklärten, fortschrittlichen Gesellschaft, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse dieser Art nicht einfach abtut als eine Frage der Einstellung.
Demokratische Freiheit ist, das wird deutlich, nicht nur eine Freiheit von Bevormundung. Sie ist auch die Freiheit, das Notwendige zu erkennen, das Richtige zu tun, und dabei solidarisch mit anderen zu sein. Und dann danach zu handeln.
Zweitens, zu den Ergebnissen des Bürgerrats Klima.

Die Empfehlungen des Bürgerrats Klima sind von enormer politischer Bedeutung. 160 Bürgerinnen und Bürger wurden aus allen Teilen Deutschlands ausgelost. Sie stehen für ganz
Deutschland: in seiner Vielfalt, für die verschiedenen Wohnorte der Bürgerrätinnen und -räten in ganz Deutschland, für die sozialen Milieus, aus denen sie stammen, ihre Berufe und ihre Ansichten.

Die Ergebnisse des Bürgerrats Klima spiegeln nicht die Ansichten einer Interessengruppe, eines
Verbandes, einer NGO, einer Lobby, einer politischen Partei wider. Sie sind das Ergebnis eines freien Aushandlungsprozess des Bürgerrats und seinen Arbeitsgruppen. Es gab dabei ein entscheidendes Element: die Bürgerinnen und Bürger hatten Zugang zu erstklassigen
Informationen. Diese kamen von der Wissenschaft, von Akteuren aus der Praxis und von den Parteien.

Die Bürgerrätinnen und -räte hatten darüber hinaus Zeit, sich auszutauschen, sich eine Meinung zu bilden und Formulierungen zu finden. Und es zeigt sich: dies verändert das Denken und führt zu neuen Einsichten, die Einschätzung des Themas hat sich weiterentwickelt.

Demokratische Freiheit ist, das wird deutlich, nicht nur eine Freiheit von Bevormundung. Sie ist auch die Freiheit, das Notwendige zu erkennen, das Richtige zu tun, und dabei solidarisch mit anderen zu sein. Und dann danach zu handeln.
Der Bürgerrat Klima hat mit seinen Empfehlungen gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland dazu bereit sind, erhebliche, zielführende, weitgehende Maßnahmen zur Begrenzung der Klimakrise mitzutragen und das dafür Notwendige zu unterstützen, auch selbst zu tun.

Sie haben eine Erwartung an uns alle formuliert: an die Politik, aber auch an die Bevölkerung, die weniger Zeit hat, sich mit dem Thema so intensiv auseinanderzusetzen. Das ist ein klarer Auftrag an die Politik, die ja in der repräsentativen Demokratie die Aufgabe hat, die Wohlfahrt der Gesellschaft sicherzustellen: der Auftrag, deutlich über das hinauszugehen, was bisher getan wurde – sich der Klimakrise mit Entschlossenheit zu stellen.
Die Konsequenzen sind nicht zu verantworten, nicht uns gegenüber, nicht den jungen Menschen gegenüber, nicht den nachfolgenden Generationen gegenüber und nicht anderen Weltgegenden gegenüber.
Drittens: Zur Einordnung in die aktuelle klimapolitische Diskussion.

Die Klimakrise ist eine Krise unserer Gesellschaft. Aber Politik und Gesellschaft trauen sich noch immer nicht, den wissenschaftlichen Notwendigkeiten klar ins Auge zu blicken. Alle wissen von der Klimakrise, aber wenige machen sich klar, dass es wirklich ernst damit ist. Viele sind dafür, dass sich etwas verändert – solange sich nur nichts verändert. Viele sind für den Wandel, solange er sie persönlich nicht wirklich betrifft.

Und ähnlich ist es mit den Parteien und ihren Programmen. Es wird über den Klimaschutz so verhandelt, dass es niemanden etwas kosten darf, niemandem etwas zugemutet werden kann, keinem irgendeine Veränderung auferlegt werden soll. Es erscheint mir, als ob wir als Gesellschaft bezüglich des Klimawandels noch immer ein wenig schlafwandeln.

So aber werden wir an der Aufgabe, an der historischen Aufgabe, scheitern. Und während ich ausdrücklich sagen möchte, dass die neuen Klimaziele der Bundesregierung und die Programme der Parteien zur Bundestagswahl ein großer Schritt vorwärts und daher zu begrüßen sind, muss man doch sagen: an vielen Stellen vermisst man die Konkretheit, die strategische Planung des Gesamtbildes, und die Ernsthaftigkeit des Willens zur Umsetzung.

Es gibt etwas, das nennt sich die gläserne Decke der Transformation. Das bedeutet, dass selbst dann, wenn die sachliche Notwendigkeit eingesehen wird, selbst dann, wenn staatstheoretisch das Mandat, ja sogar die Verpflichtung zum Handeln klar ist, transformative Politik daran scheitern kann, dass die Bevölkerung für ihre konkreten Lebensrealitäten keinen gangbaren Weg sieht. Und daran wird es dann scheitern. Und genau hier hat der Bürgerrat Klima einen so entscheidenden Beitrag geleistet: indem er gezeigt hat, dass das überhaupt nicht so sein muss; dass Politik, wenn sie es richtig macht, durchaus die notwendigen Wege mutig einschlagen kann.

Politikerinnen und Politiker haben nicht nur die Möglichkeit, transformative Politik zu erklären und für Mehrheiten zu sorgen, sondern sie haben damit auch die Aufgabe, dies zu tun. Der Bürgerrat Klima hat ganz klar ein Votum dafür gesetzt, dass wir als demokratische Gesellschaft diese Aufgaben nicht nur angehen wollen, sondern auch können.

Der Rechtsstaat, der uns Freiheiten gegeben hat und mühsam erkämpft wurde, wurde viel später unter großen Auseinandersetzungen ein sozialer Rechtsstaat, in dem soziale Gerechtigkeit und soziale Absicherung genauso zum Auftrag des Staates gehören wie die Sicherung der Freiheit der Einzelnen. Aus diesem sozialen Rechtsstaat muss nun ein ökologischer, ein sozialer Umwelt-Rechtsstaat werden,
damit diese Freiheiten nicht verloren gehen. Das hat das Bundesverfassungsgericht überaus klar noch einmal in Erinnerung gerufen.

Zwei Dinge sind notwendig: erstens keine Schönrednerei, sondern echte Auseinandersetzung mit den Fakten, mit der realen Lage, mit dem was kommt und mit dem, was nötig ist. Nämlich mit dem, was Wissenschaft uns über die Entwicklung sagen kann. Und zweitens, dass sich jede und jeder in diesem Land ernsthaft prüft, was sie oder er bereit ist, für die Zukunft zu tun. Wir stehen jetzt am Anfang eines absolut kritischen Jahrzehnts der Entscheidung. In diesem Jahrzehnt werden wir die letzte Chance haben, die Weichen für Klima und Umwelt noch richtig zu stellen.

In Deutschland stehen wir vor einer Wahl und einer neuen Legislaturperiode. Wenn wir 2025 nicht viel weiter sind als heute, werden wir weder die Klimaziele von Paris einhalten noch den fortlaufenden Verlust an Natur und Lebensräumen stoppen. Die Konsequenzen sind nicht zu verantworten, nicht uns gegenüber, nicht den jungen Menschen gegenüber, nicht den nachfolgenden Generationen gegenüber und nicht anderen Weltgegenden gegenüber.

Der Bürgerrat Klima, den ich als durchaus historisch bezeichnen möchte, weil er ein neues, wegweisendes Experiment war, hat uns allen, vor allem aber auch der Politik, nun einen klaren Auftrag erteilt. An diesen müssen und können nun alle Parteien politisch anknüpfen. Der Wettbewerb muss um die besten Ideen gehen, nicht um das Wie und Ob. Das Tempo muss hoch sein.

Der Bürgerrat Klima hat sehr klare Empfehlungen gegeben, für Mobilität, Gebäude, Ernährung und Energie. Der Auftrag ist klar. Nun gilt es, diese Empfehlungen breit zu diskutieren – und dann zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft umzusetzen. 
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